Projekt Stätten der Herrschaft … 1933-1945

Beitrag zu Erinnerungskultur und Identitätsbildung

Stadtgeschichte, Heimatkunde, Stadtführungen stehen im Verdacht, ein einseitiges, geschöntes Bild des eigenen Umfeld zu produzieren, das nicht zur Identifikation führt, sondern zur Illusion. Identifikation mit der eigenen Stadt und Gesellschaft aber erwächst aus einer ehrlichen Auseinandersetzung mit den Licht- und Schattenseiten menschlichen Lebens – und den vielen Grautönen dazwischen.

Dabei bietet die Regional- und Stadtgeschichte die Chance

  • die Menschen in ihrem unmittelbaren, bekannten Umfeld anzusprechen und auch für überregionale historische Vorgänge zu interessieren
  • „Geschichte“ damit aus der Abstraktion zu holen und als Erlebnis- und Erfahrungsraum in Region, Stadt, Stadtteil, Familie „verorten“ zu können
  • Menschlichen Schicksalen und Tragödien „ein Gesicht“ zu geben, durch die beispielhafte Darstellung der unmittelbaren Auswirkungen politischer Ereignisse auf menschliche Leben insbesondere auch der Opfer hist. Ereignisse zu gedenken.

25 Jahre Alternative Stadterkundungen

Der Verein trug seit Beginn der 90er Jahre durch das Konzept der Alternativen Stadterkundungen einem differenzierten Bild bei. Dabei geht es darum,  die Stadt oder Stadtteile unter bestimmten historischen Themenstellungen zu erkunden. Grundanliegen des Vereins ist es, die Auseinander-setzung mit der Geschichte als Schlüssel für das Verständnis der Gegenwart und als Motivation zur Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung zu fördern.

Zu diesen Themen gehören, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, regelmäßig auch die Jahre der NS-Diktatur 1933-1945. Solche Stadterkundungen sind auf Anfrage auch vereinbar.

Ausstellung 1999 und Buchprojekt 2002

Wo du gehst und stehst…. befindest Du Dich in unserer Stadt auf den Spuren der nationalsozialistischen Vergangenheit. Nur selten sind uns diese Orte der Verfolgung, des Terrors und des Widerstandes noch bewusst: Die Straße, uns seit Jahren vertraut, trug den Namen eines führenden Nationalsozialisten. Der Platz, über den heute unser Weg zum Einkauf führt, war der Ort der Bücherverbrennung oder die Paradefläche für NS-Propagandaveranstaltungen. In dieser Schule wurden Gleichaltrige damals zu Hass und Kriegsbegeisterung erzogen…“

So beschrieb bei der Foto-Ausstellungseröffnung im VHS-Haus am 27.1.1999 der Verein seine Projektidee. Aktuelle Fotos eines Recklinghäuser Ortes, wie er sich in der Gegenwart  präsentiert, wurden mit Informationen zu seiner Bedeutung und dem Schicksal von Menschen 1933-1945 kontrastiert. Dazu gab es eine Broschüre mit Fotos und Texten. Am 27. Januar 2000 wurde die Ausstellung im Rahmen der städtischen Veranstaltungen zum Gedenktag der Opfer der NS-Diktatur im Rathaus eröffnet.

Das 2002 von Helmut Geck, Georg Möllers und Jürgen Pohl heraus gegebene Buch „Wo Du gehst und stehst…. Stätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945“ präsentiert auf 184 Seiten 55 Erinnerungsorte, dazu Überblicke über die Recklinghäuser Gedenkkultur (Mahnmale, Gedenktage, Namensgebungen….). Damit war das im Recklinghäuser Verlag Winkelmann erschienene Buch einerseits die erste Veröffentlichung mit einer systematischen Darstellung der nationalsozialistischen Zeit in Recklinghausen. Andererseits ist es von seiner Grundkonzeption her mit seinen „Verortungen“ und Personen-Stichwortverzeichnissen eine wesentliche Grundlage der Erinnerungskultur in Recklinghausen.

Stadtplan „Stätten der Herrschaft……“ 2009/2014

Faltblatt Friedhof Lohtor

Als der Rat der Stadt Recklinghausen im Herbst 2008 einstimmig seinen Grundsatzbeschluss zur GEDENKKULTUR fasste, knüpfte er aus ausdrücklich an die Projektidee an:

„Das Projekt basiert auf dem in Recklinghausen erarbeiteten Konzept der „Alternativen Stadterkundungen“. Dabei geht es darum, Verfolgung und Widerstand, Anpassung und Terror „zu verorten“, alltägliche Sehgewohnheiten im Stadtumfeld aufzubrechen, Unauffälligkeiten und scheinbare Normalitäten des Stadtteils zum Sprechen zu bringen.

Viele unterschiedliche Veranstalter, Schulen, Vereine haben in den letzten Jahren auf dieser Basis themen- oder stadtteilorientierte Projekte oder „Stadterkundungen“ auswählen und durchführen können. Dieses in Recklinghausen im letzten Jahrzehnt erarbeitete und aufgebaute Konzept sollte fort geschrieben werden.“ Als „Fortschreibung“ wurde die Herstellung eines Stadtplans mit den „Orten der Herrschaft, des Widerstands und der Verfolgung“  beschlossen.“

Der StadtplanStätten der Herrschaft, der Verfolgung und des Widerstandes in Recklinghausen 1933-1945 konnte 2009 und 2014 in 2. Auflage herausgegeben werden.

Publikation zur Deportation der Juden nach Riga 2013

Auf der Grundlage des erwähnten Ratsbeschlusses trat Recklinghausen 2009 dem Riga-Komitee der Städte bei, aus denen jüdische Bürger in das Ghetto Riga deportiert worden war. Um dieses – fast schon in Vergessenheit geratene – Schicksal ehemaliger Nachbarn zu dokumentieren, den Opfern ein Gesicht und ihre Geschichte und diese Erinnerung in der Stadt zu „verorten“ wiederzugeben, entstand 2013 eine weitere Publikation: „Abgemeldet nach „unbekannt“ 1942. Die Deportation der Juden aus dem Vest Recklinghausen nach Riga“. Das im Klartext-Verlag erschienene Buch folgt dem Schicksal der 95 jüdischen Bürger, die am 24. Januar 1942 aus den „Judenhäusern“ deportiert wurden. Die beiden Vereinsvorsitzenden Jürgen Pohl und Georg Möllers setzen damit als Autoren das Projekt fort; Herausgeber war die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Online-Gedenkbuch „Opfer und Stätten der Herrschaft, der Verfolgung…..“ 2015

Insbesondere im Hinblick auf die Motivation von Jugendlichen und Schülern ist auch der jüngste Projektschritt konzipiert, der vom Rat der Stadt Recklinghausen auf Vorschlag der Initiatoren im Dezember 2013 beschlossen wurde und mit Unterstützung von Stadt und Sponsoren realisiert werden konnte:

Das Internet-Portal Recklinghäuser Gedenkbuch. Opfer und Stätten der Herrschaft, Verfolgung und des Widerstandes 1933-1945“ wurde in einer Gedenkfeier zum 70. Jahrestag des Befreiung Europas 2015 eröffnet.

Das Portal mit seinen drei Säulen (Opferbuch mit z. Zt. 900 Biographien, Stätten der Herrschaft mit 59 Beiträgen, Gedenkkultur in Recklinghausen) ist erreichbar unter:

Die Erarbeitung von Opferbiographien ist zugleich Motivation und Grundlage zur Verlegung von „Stolpersteinen“ in Recklinghausen.

Stolperstein Tepper

Foto G. Möllers: Erinnerung an Familie Tepper, Stolpersteine, Herner Str. 7a

Gedenkkultur in Recklinghausen

Georg Möllers/Jürgen Pohl, Zeitenwende bei kulturellen Gedächtnis? Zu Entwicklung und Stand der Erinnerungskultur in Recklinghausen, in: Vestische Zeitschrift 106 (2016/17), S. 331-398).

Unterstützen Sie das Projekt

Durch eine finanzielle Unterstützung:

Sparkasse Vest Recklinghausen

Verein für Orts- und Heimatkunde
„Stätten der Herrschaft“
IBAN: DE 87 426 501 500 000 032 631